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- Der Erste Weltkrieg 1914–1918
Rolle der Obersten Heeresleitung
Um das Versagen der OHL (Oberste Heeresleitung) zu verdeutlichen, veröffentlichte der deutsch-britische Journalist Sebastian Haffer 1964 das Buch “Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg” (https://de.wikipedia.org/wiki/Die_sieben_Todsünden_des_Deutschen_Reiches_im_Ersten_Weltkrieg). Die oberste Kommandogewalt hatte eigentlich der Kaiser inne. Er wurde jedoch unterstützt und beraten von Generälen. Wilhelm II. übertrug relativ schnell die gesamte Kommandogewalt auf die OHL, sodass die betreffenden Generäle freie Hand hatten. Zweimal wurde die Heeresleitung nach gescheiterten Offensiven (1914 an der Marne, 1916 bei Verdun) abgesetzt. Danach lag Verantwortung Kriegsführung bis Kriegsende praktisch vollständig in den Händen von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und dessen Stabschef Erich Ludendorff.
Die einzelnen Überschriften stammen aus dem Inhaltsverzeichnis von Sebastian Haffers Buch.
1. Die Abkehr von Bismarck
Bismarck hatte ein Bündnissystem geschaffen, das Deutschland vor einem Zweifrontenkrieg schützen und Frankreich isolieren sollte. Dieses wurde von Wilhelm II. ab 1890 aufgegeben. Bismarck hatte versucht, eine direkte Konfrontation der europäischen Großmächte zu vermeiden.
2. Der Schlieffen-Plan
Der 1905(!) entworfene Schlieffen-Plan sollte einen Zweifrontenkrieg durch einen schnellen Sieg über Frankreich und die anschließende Konzentration auf den stärkeren Gegner Russland ausschließen. Um die inzwischen ausgebauten französischen Verteidigungsstellung zu umgehen, sollte der Angriff über das neutrale Belgien führen. Der schnelle Sieg über Frankreich blieb aber eine Illusion, den die Invasion kam bereits im November 1914 an der Marne westlich von Paris zum Stillstand.
Durch den Angriff auf Belgien und die damit verbundenen Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung provozierte das Deutsche Reich den Kriegseintritt der belgischen Schutzmacht Großbritannien. Mit dem Scheitern des Schlieffen-Plans war ein deutscher Sieg zumindest fraglich. Letztlich waren es auch britische Tanks, die 1918 in der Lage waren die deutschen Stellungen zu durchbrechen.
Karte: Schlieffen-Plan aus dem Jahr 1905
Video: The Schlieffen Plan – And Why It Failed | THE GREAT WAR
3. Belgien und Polen oder Die Flucht vor der Wirklichkeit
Großbritannien war nicht nur Schutzmacht Belgiens, sondern auch Polens. Während 1914 noch keine Absicht bestand, Belgien dauerhaft zu besetzen, ergab sich die Gelegenheit, möglicherweise aus der irrationalen Logik heraus, dass man ja Belgien bereits “hatte” (Haffer).
Das Königreich Polen dagegen existierte seit dem Wiener Kongress 1815 nur noch als Rumpfstaat (“Kongress-Polen”) unter der Regierung des russischen Zaren. Preußen, Österreich-Ungarn und Russland hatten die übrigen polnischen Gebiete ihrem Staatsgebiet einverleibt. 1916, als die deutsch-russische Front durch das ehemalige Königreich Polen verlief, schufen Deutschland und Österreich-Ungarn ein Königreich Polen mit einer Verfassung, aber ohne festgelegte Grenzen und ohne eine Regierung, dafür aber mit einer Zentralbank und einer eigenen Währung.
Die Vorgehensweisen des Deutschen Reiches in Belgien und Polen führten jeweils zu einem Zustand, der international nicht haltbar und damit von Vornherein zum Scheitern verurteilt war. Großbritannien hätte eine Annexion Belgiens niemals akzeptiert und ein polnischer “Rumpfstaat”, der von Russland ohnehin als Satellitenstaat der Mittelmächte gesehen wurde, ohne die überwiegend von Polen bewohnten der Provinzen Posen und Westpreußen sowie dem östlichen Teil Oberschlesiens war für Polen dauerhaft nicht akzeptabel.
Video: The Rape of Belgium And The Battle of Tannenberg I THE GREAT WAR – Week 5
Video: Poland’s Struggle for Independence During WW1 I THE GREAT WAR
4. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg
Während die USA im Ersten Weltkrieg eine konsequent eine Politik der Nichteinmischung verfolgten, begann das Deutsche Reich ab Februar 1917 mit dem unbeschränkten U-Boot-Krieg. Dieser beinhaltete, dass zivile feindliche Schiffe von der deutschen Kriegsmarine versenkt werden konnten. Die USA wurden in diesem Sinne auch als “feindlich” eingestuft, weil sie Großbritannien Waffen lieferten. Dies stellte einen von der OHL gegen Bedenken aus der Politik und der Kriegsmarine durchgesetzten Bruch des internationalen Seerechts dar, wonach vor einem Beschuss zivile feindliche Schiffe zunächst auf Waffen durchsucht und die Besatzungen evakuiert werden mussten.
Nach der Zerstörung mehrerer ziviler britischer und US-amerikanischer Schiffe erklärten die USA im April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg. Damit hatte sich das Deutsche Reich einen mächtigen Kriegsgegner mit einer intakten Wirtschaft und einer unverbrauchten Armee geschaffen. Wenn der Krieg im Prinzip schon mit dem Scheitern des Schlieffen-Plans und dem provozierten Kriegseintritt für das Deutsche Reich nicht mehr zu gewinnen war, ist mit dem US-amerikanischen Kriegseintritt spätestens ein point of no return erreicht, nach dem ein deutscher Sieg nicht mehr möglich war.
Video: Germany Resumes Unrestricted Submarine Warfare I THE GREAT WAR Week 132
5. Das Spiel mit der Weltrevolution und die Bolschewisierung Russlands
Um den Zweifrontenkrieg, in den sich das Deutsche Reich durch eine Reihe von politischen und militärischen Fehleinschätzungen selbst gebracht hatte, wurde im deutschen Außenministerium ein Plan entworfen und durchgeführt: Im Februar 1917 hatte es in Russland eine Revolution gegeben, in deren Folge nach dem Sturz des Zaren nun die (bürgerliche) Provisorische Regierung in St. Petersburg an der Macht war. Die Idee hinter dem Plan war, durch eine Ausweitung des Einflusses der Bolschewiki Russland zu destabilisierien und auf ein Kriegsende im Osten hinzuwirken.
Dazu wurde der im Schweizer Exil lebende russische Kommunist Wladimir Iljitsch Uljanow (genannt Lenin) im April 1917 in einem verplombten Eisenbahnwagen durch das Deutsche Reich gebracht, um von dort von Sassnitz mit einer Fähre nach Malmö ins neutrale Schweden überzusetzen. Von dort reist er durch Schweden und Finnland nach St. Petersburg. Zuvor hatte ihn die deutsche Reichsregierung noch mit umfangreichen finanziellen Mitteln für seine revolutionäre Tätigkeit ausgestattet. Diese konnte Lenin beispielsweise für die Herausgabe der Zeitschrift Iskra (deutsch: Der Funke) verwenden, um für einen Sturz der Provisorischen Regierung und einer Machtübernahme durch die Bolschewiki zu mobilisieren. Diese gelang im Oktober 1917 und machte für das Deutsche Reich einen Separatfrieden mit Russland möglich.
The Russian October Revolution 1917 I THE GREAT WAR Week 172
Wikipedia: Reise Lenins im plombierten Wagen
SZ: Wie Lenin zur Weltrevolution reiste
6. Brest-Litowsk oder Die verpatzte letzte Chance
Eines der ersten Zeile der bolschewistischen Regierung nach der – mit tatkräftiger Unterstützung des Deutschen Reiches – erfolgreichen Oktoberrevolution 1917 war eine sofortige Beendigung des Krieges. Die russischen Truppen waren zu diesem Zustand wegen schlechter Versorgung und Ausstattung demoralisiert. Es kam zur Niederlegung der Kämpfe und zu Desertationen. Die Desertationen waren auch dadurch motiviert, dass die russischen Soldaten sich zum großen Teil aus (besitzlosen) Landarbeitern zusammensetzte und die Sowjetregierung Ende Oktober 1917 eine Bodenreform angekündigte. Das führte bei Soldaten zu der Befürchtung, bei der Verteilung von Land leer auszugehen. (Tatsächlich kam es erst im Herbst und Winter 1918 zu Umverteilungen.)
So kam es im März 1918 zur Unterzeichnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk durch Sowjetrussland und das Deutsche Reich. Für die Sowjetregierung war ein sofortiger Frieden alternativlos, weil sie einerseits über keinerlei personelle und materielle Ressourcen zur Fortführung des Krieges verfügte und andererseits die Frage der Grenzziehung als nebensächlich angesichts der ohnehin nahe bevorstehenden kommunistischen Weltrevolution angesehen wurde.
Das Deutsche Reich hatte von Dezember 1917, als eigentlich ein Waffenstillstand mit Sowjetrussland vereinbart worden war, bis März 1918 die Ostfront noch weit nach Osten verschoben. So waren zu diesem Zeitpunkt die Gebiete der heutigen Staaten Estland, Lettland, das westliche Belarus sowie die Ukraine einschließlich der Krim. Es ist offensichtlich, dass diese Grenze als deutsche Ostgrenze sowohl gegenüber Russland als auch international nicht akzeptabel war und in kurzer Zeit wieder Richtung Westen korrigiert werden würde. Dadurch, dass das Deutsche Reich den Waffenstillstandsvertrag gebrochen und keine realistischen Friedensbedingungen zugrunde gelegt hat, war der Separatfrieden mit Sowjetrussland von Vornherein nur ein kurzlebiges Provisorium.
Peace In The East – The Treaty of Brest-Litovsk I THE GREAT WAR Week 189
Karte: Frontverlauf Dez. 1917 und März 1918
7. Der wirkliche Dolchstoß
Hier bezieht auf die Dolchstoßlegende, die eigentlich eher eine Lüge als eine Legende ist. Kurz gesagt geht es dabei darum, dass die OHL die Lüge in die Welt setzte, dass das deutsche Heer zwar an der Front siegreich gewesen sei, durch mangelnde Unterstützung aus der Heimat – insbesondere durch Sozialdemokraten, andere demokratische Politiker und Juden – dem deutschen Heer bildlich gesehen von hinten ein Dolch in den Rücken gerammt worden sei, was zur Niederlage geführt habe. Damit wollte sie ihre militärische Verantwortung auf den zivilen Bereich abschieben. Diese Lüge konnte deswegen so erfolgreich verbreitet werden, da die OHL die politische Führung (einschließlich Wilhelm II.), den Reichstag und die Bevölkerung nicht über die tatsächliche Lage an der Front informierte, sondern diese in dem Glauben ließ, der Krieg lasse sich noch gewinnen. Dabei konnte sie erfolgreich auf antikommunistische, antidemokratische und antisemitische Stereotypen zurückgreifen.
Tatsächlich war Krieg für Deutschland lange verloren (siehe oben Punkte 1–6). Im April 1918 scheiterte der letzte Versuch einer deutschen Offensive im Westen. Im August 1918 durchbrachen alliierter Truppen die deutschen Linien mithilfe von 400 englischen Tanks. Da der OHL die Aussichtslosigkeit bewusst war, forderte sie die Reichsregierung am 29. September 1918 zu einer Parlamentarisierung der Monarchie und zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen auf, auch aus Angst vor einer Revolution wie in Russland. Auch in dieser Aufforderung ist erkennbar, dass die OHL ihre militärische Verantwortung auf die zivile Regierung abschob. Am 11. November 1918, als an der Front nur noch 7 von ursprünglich 179 Divisionen einsatzbereit sind, wurde der Waffenstillstand dann von Matthias Erzberger (Zentrumspartei) unterschrieben. Dadurch erreichte die OHL, das in der öffentlichen Meinung nicht sie, sondern demokratische Politiker für den Waffenstillstand mit Frankreich verantwortlich seien.
Den wirklichen Dolchstoß hätte nach Haffner aber die OHL dem deutschen Herr zugefügt,
- durch militärische Entscheidungen, die von strategischer Inkompetenz zeugen,
- durch eine völlig unnötige räumliche Ausweitung und zeitliche Verlängerung des Krieges,
- durch ein systematisches Belügen der deutschen Politik und der deutschen Öffentlichkeit,
- durch das Ausschlagen jeglicher Verständigungsangebote mit dem Gegner, obwohl ein Siegfrieden schon lange unmöglich geworden war und
- durch das Abschieben jeglicher Verantwortung auf demokratische Politiker, obwohl die OHL in den beiden letzten Kriegsjahren mit quasidiktatorischer Vollmacht Entscheidungen getroffen hat.
Video: The Battle of the Selle – Ludendorff Resigns I THE GREAT WAR Week 221
Lektion: Die Dolchstoßlüge
Kleine Übung
Oder auf dem Handy über QR-Code:

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