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Die Dolchstoßlüge
Häufig für die Dolchstoßlüge auch die Bezeichnung Dolchstoßlegende zu finden. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um eine Legende, da eine Legende eine ausgeschmückte Erzählung mit einem wahren Kern ist (z. B. die Legende vom Bischof Nikolaus). Die Dolchstoßlüge hingegen ist eine reine Erfindung, um politische Gegner zu diskreditieren.







Die Dolchstoßlüge behauptet, dass das deutsche Heer zwar an der Front siegreich gewesen sei, durch mangelnde Unterstützung aus der Heimat – insbesondere durch Sozialdemokraten, andere demokratische Politiker und Juden – dem deutschen Heer bildlich gesehen von hinten ein Dolch in den Rücken gerammt worden sei, was zur Niederlage geführt habe. Damit wollte sie ihre militärische Verantwortung auf den zivilen Bereich abschieben. Diese Lüge konnte deswegen so erfolgreich verbreitet werden, da die OHL die politische Führung (einschließlich Wilhelm II.), den Reichstag und die Bevölkerung nicht über die tatsächliche Lage an der Front informierte, sondern diese in dem Glauben ließ, der Krieg lasse sich noch gewinnen. Dabei konnte sie erfolgreich auf antikommunistische, antidemokratische und antisemitische Stereotypen zurückgreifen. Diese Lüge wurde von der Obersten Heeresleitung (OHL) erfunden, um ihre eigene Verantwortung für die Niederlage zu verschleiern und auf den zivilen Bereich abzuschieben. So unterschrieb die OHL auch keine Kapitulation, sondern forderte die zivile Regierung 29. September 1918 auf, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen.
Die Dolchstoßlegende wurde vor allem von rechten und nationalistischen Gruppen benutzt, um gegen die Weimarer Republik zu hetzen und den Versailler Vertrag abzulehnen, der Deutschland harte Friedensbedingungen auferlegte. Die Dolchstoßlegende war auch ein wichtiges Propagandamittel der Nationalsozialisten, die die Republik als illegitim und korrupt darstellten und die Juden als die Hauptschuldigen an der deutschen Misere beschuldigten.
Die Dolchstoßlüge – eine Verschwörungserzählung
Hier ist bewusst die Rede von einer Verschwörungserzählung, nicht von einer Verschwörungstheorie. Der Begriff Theorie ist irreführend, weil er vorgibt, einen theoretischen Hintergrund zu haben, der wissenschaftlichen Standards entspricht. Das ist bei einer Verschwörungerzählung wie der Dolchstoßlüge sicher nicht der Fall. Denkbar wäre auch die Verwendung des Begriffs Verschwörungsideologie.
Eine Verschwörung ist (1) eine geheime Absprache einer (kleinen, exklusiven) Gruppe von Menschen, (2) die durch den Einsatz bestimmter Mittel (3) ein bestimmtes Ziel verfolgt. In der Regel geht es um (4) Machterwerb oder Machterhalt. (nach A.-A.-Stiftung)
Bei der Dolchstoßlüge handelt es sich eindeutig um eine Verschwörungserzählung: Bestimmte (sozialdemokratische, andere demokratische, jüdische) Politiker hätten sich demnach zusammengetan (1) mit dem Ziel, die Niederlage des im Felde unbesiegten deutschen Heeres herbeizuführen (2) und die Herrschaft in Deutschland an sich zu reißen (4). Als Mittel hätten sie dazu die Front nicht ausreichend unterstützt und zudem die die heldenhaften Bemühungen des Heeres untergraben, indem sie nicht mehr an einen deutschen Sieg geglaubt hätten und stattdessen einen Verständigungsfrieden mit den Kriegsgegnern angestrebt hätten (3).
Die Dolchstoßlegende ist eindeutig widerlegt
In einem Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 17. Dezember 1918 wird behauptet, der britische General Sir Frederick Maurice habe behauptet, die Zivilbevölkerung habe die deutsche Armee von hinten erdolcht. Der Beitrag in der NZZ bezog sich aber offensichtlich auf eine Beitrag des Generals Maurice in der Londoner Daily News, in dem dieser rein militärische Gründe wie das Scheitern der Frühjahrsoffensive und das Wegbrechen der Verbündeten Österreich-Ungarn und Bulgarien für die deutsche Niederlage verantwortlich machte. Maurice widersprach der ihm unterstellten ausdrücklich in seinem 1919 erschienen Buch The Last Four Months: “Es steht außer Frage, dass die deutschen Armeen im Feld vollständig und entscheidend besiegt wurden.” Das ist so ziemlich das komplette Gegenteil dessen, was die Dolchstoßlüge aussagt. Auch 1922 stellte er in einer Äußerung noch einmal seine Position zur Dolchstoßlüge dar: “Ich habe niemals die Ansicht vertreten, dass der Ausgang des Krieges darauf zurückzuführen sei, dass das deutsche Volk der Armee einen Dolchstoß in den Rücken versetzt habe.” (Zitate nach Wikipedia)
Sowohl Paul von Hindenburg als auch Erich Ludendorff äußerten sich unabhängig voneinander dahingehend, dass ein englischer General zutreffend formuliert habe, die deutsche Armee sein von hinten erdolcht worden.
Am 20. August 1919 wurde vom Reichstag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich mit den Schuldfragen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg (also Ausbruch, Verlängerung und Verlust) befassen sollte. Anlass war Art. 231 des Versailler Vertrages, der Deutschland die alleinige Kriegsschuld auferlegte. Vor dem Untersuchungsausschuss vertritt Paul von Hindenburg erneut die Dolchstoßlüge.
1926 legte der Sachverständige Ludwig Herz dem Untersuchungsausschuss folgende Erklärung zu den Ursachen der deutschen Niederlage vor:
Die Zergliederung der Anklage der Erdolchung ergibt folgende Bestandteile: Der Geist der Front ist durch die Stimmung der Heimat zermürbt worden. Die Kampfkraft des Heeres ist durch revolutionäre Agitation zersetzt worden, dieses Zersetzung trägt die Schuld an der Niederlage. Die Revolution von oben hat das Weiterkämpfen verhindert, ohne die Revolution von unten wäre der Waffenstillstand nicht zur Waffenstreckung geworden.
Es ist richtig, dass die Revolution die Ablehnung der Waffenstillstandbedingungen unmöglich machte und das Heer durch Auflösung der Ordnung hinter der Front gefährdete. Es ist aber ein Widerspruch, zu sagen, dass ein Heer durch Agitation so verseucht gewesen sei, dass es geschlagen wurde, und zugleich zu sagen, trotz dieser Zersetzung der Kampffähigkeit des Heeres hätte man weiterkämpfen müssen und können. Es ist unlogisch, zu behaupten, de “Friedensduselei” der Heimat sei verhängnisvoll geworden, weil die Feinde in keinem Zeitpunkt des Krieges einen Verständigungsfrieden schließen wollten, und in demselben Atemzuge zu behaupten, die Revolution trage an dem Vernichtungsfrieden und der ihn vorbedingenden Waffenstreckung Schuld. Es ist eine Geschichtsklitterung durch Verschiebung der zeitlichen Folge der Geschehnisse, dass ohne die Revolution die Entente nicht gewagt hätte, uns die Kapitulation zuzumuten, da die Bedingungen festgelegt waren, ehe sie überhaupt von ihr erfahren hatte. Es ist ein “Hysteron proteron”, die Niederlage als Folge der Revolution hinzustellen; die evolutionäre Agitation hatte im Heere und n der Heimat erst Erfolg, als die Niederlage offenbar geworden war. […]
Unehrlich ist es, die taktischen und strategischen Fehler, die stündlich wachsende Übermacht der Feinde an Menschen und Material, die Übermüdung der ruhelos umhergehetzten und kärglich ernährten Truppen, den Zusammenbruch der Bundesgenossen auszuschalten. Selbst wenn der Geist des Heeres an einzelnen Stellen und auch der des Ersatzes durch revolutionäre Propaganda gelitten haben sollte, es ist nichts dafür erbracht, dass ein Versagen von Truppen aus diesem Grunde den Verlust einer Schlacht oder eines Feldzuges oder des Krieges entschied. Die Erzählung, dass die Front von hinten erdolcht worden sei, ist eine Fabel.“
Ein Hysteron proteron ist ein rhetorisches Mittel, bei dem das in der zeitlichen Abfolge Frühere (Proteron) mit dem Späteren (Hysteron) vertauscht wird. Dadurch wird auch eine logische Vertauschung erreicht, weil das zeitlich Spätere so als Ursache für das zeitlich Frühere dargestellt und damit hervorgehoben werden kann.
Unabhängig davon, ob sich Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die seit 1916 die OHL gebildet hatten, auf den Beitrag in der NZZ beziehen, sind sie diejenigen, die die Dolchstoßlegende verbreiten. Das zugrundeliegende Motiv ist offensichtlich: Die OHL wollte von ihrer eigenen militärischen und politischen Verantwortung ablenken. Das lässt sich folgendermaßen belegen:
Die Dolchstoßlüge vernachlässigt:
- die deutschen Kriegsziele,
- die Fehleinschätzungen und die strategische Inkompetenz der OHL,
- die Erschöpfung der Soldaten,
- die wirtschaftliche und militärische Unterlegenheit des Deutschen Reiches insbesondere gegenüber den USA und Großbritannien.
- dass die OHL ab 1916 mit quasi-diktatorischen Vollmachten geherrscht hat,
- dass die OHL Politik und Öffentlichkeit bis September 1918 mit geschönten Berichten zur wahren Lage an der Front getäuscht hat,
- dass die OHL am 29. September 1918 die Reichsregierung zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen mit den USA aufgefordert hat, nachdem die Frühjahrsoffensive gescheitert war und Österreich-Ungarn um einen Waffenstillstand gebeten hatte,
- das durch den “Burgfrieden” seit 1914 eine Pressezensur und eine Unterdrückung der Opposition herrschte, sodass diese keinen politischen Einfluss nehmen konnte,
- dass es gegen Ende des Krieges zu Auflösungserscheinungen im deutschen Heer wie Befehlsverweigerung und Desertationen gekommen ist.
Erklärung Hindenburgs vor dem Untersuchungsausschuss, 18. November 1919
Warum konnte die Dolchstoßlüge (trotzdem) so erfolgreich verbreitet werden?
Paul von Hindenburg galt in der deutschen Bevölkerung als beliebter Feldherr, weil er 1914 den russischen Überfall auf Ostpreußen in der sogenannten Schlacht von Tannenberg erfolgreich zurückschlagen konnte. Da ei OHL zivile Personen mit der Aushandlung eines Waffenstillstands beauftragt und diese angewiesen hatte, den Waffenstillstand unter allen Bedingungen zu unterzeichnen, sah es in der Öffentlichkeit so aus, als ob diese Politiker den Waffenstillstand unterzeichnet hätten, obwohl das deutsche Heer noch im Feindesland gekämpft habe. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, dass beim Ersuchen um einen Waffenstillstand noch kein einziger feindlicher Soldat deutschen Boden betreten hatte. Auch der Versailler Vertrag mit der Feststellung der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands, Gebietsabtretungen und Reparationen im Umfang der gesamten Kriegskosten wurden von zivilen Politiker unterzeichnet, sodass auch hier in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, die OHL habe damit nichts zu tun. Der Eindruck, dass der Sieg unmittelbar bevorstehe, wurde auch dadurch verstärkt, dass der Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland von der kaiserlichen Regierung als überwältigender deutscher Sieg dargestellt wurde. Viele heimkehrende Truppen wurden in Deutschland auch von demokratischen Politikern mit dem Slogan “Im Felde unbesiegt” empfangen. Wenn man an diesen Slogan anfügt “aber von der Heimat hinterrücks erdolcht”, sieht man sofort wieder die Dolchstoßlüge.
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